Grünanteil von bis zu 190% der Grundstücksfläche:
Bürogebäude kompensiert fehlende urbane Grünflächen
Weltweit kommen immer öfter Pflanzen in Gefäßen als Problemlöser zum Einsatz. Ein aufsehenerregendes Projekt ist in Ho-Chi-Minh-Stadt entstanden, mit knapp neun Millionen Einwohnern die größte Stadt Vietnams – mit extremem Hitzeinsel-Effekt. Hier hat eine Gruppe von Architekten bei der Planung des eigenen Bürohauses voll auf Pflanzen gesetzt und das „Urban Farming Office“ errichtet: Das sechsgeschossige Gebäude ist üppig begrünt und erzielt eine jährliche Ernte von 1,1 Tonnen Gemüse, Obst und Kräutern.
In Ho-Chi-Minh-Stadt liegen die Durchschnittstemperaturen ganzjährig zwischen 26 bis 30°C bei gleichzeitig hoher Luftfeuchtigkeit. Die wenigen Parks können den Mangel an urbanen Grünräumen nicht wettmachen, die Stadt leidet unter dem sogenannten Hitzeinsel-Effekt. Auch die Luftverschmutzung ist groß – dafür sorgt u.a. der dichte Straßenverkehr mit seinen zahlreichen Motorrädern.
Zudem macht der Klimawandel dem südostasiatischen Land zu schaffen: Dürreperioden, Überschwemmungen und die Versalzung von Böden und Gewässern bedrohen zunehmend die Versorgung der vietnamesischen Bevölkerung mit Lebensmitteln sowie den Lebensmittelexport.
An der Fassade: Urbane Landwirtschaft
„Das »Urban Farming Office« ist ein Versuch, diese Situation zu ändern“, sagen die Vo Trong Nghia Architekten (VTN). Auf einem 300 m² großen Eckgrundstück im Ta Hien-Viertel haben sie ein kompaktes sechsgeschossiges Volumen mit nahezu quadratischem Grundriss entworfen, dessen Fassade üppig begrünt ist.
Die Konstruktion der Grünfassade ist einfach und unkompliziert. Sie besteht aus einer Betonstruktur mit Stahlträgern, an denen modularisierte Pflanzkästen aufgehängt werden.
Das dichte Blattwerk vor der raumhohen Verglasung wirkt als schützender Filter: Es dämpft Lichteinfall und Geräusche und reinigt gleichzeitig die Luft. Die Verdunstung des Wassers trägt zur Kühlung bei. Bild: Hiroyuki Oki
Bild oben: Auf einem 300 m² großen Eckgrundstück in Ho-Chi-Minh-Stadt haben die VTN-Architekten ein Bürohaus errichtet, das neues Stadtgrün schaffen und zugleich die urbane Lebensmittelproduktion fördern soll: Die Grünfassade ist nicht nur mit lokalen Zierpflanzen bestückt – hier wachsen auch Gemüse, Obst und einheimische Kräuter heran.
Einfach konstruiert: Modulare Pflanzkästen
Die Pflanzkästen sind austauschbar, um eine flexible Anordnung entsprechend der Höhe und den Ansprüchen der Vegetation zu ermöglichen. Dies gewährleistet, dass jede Pflanze ausreichend Sonnenlicht erhält. Die Bewässerung erfolgt mithilfe von gespeichertem Regenwasser.
Die DGHK sagt: Mit Hydrokultur sind Pflanzen in Gefäßen zum System geworden. Das macht sie mobil und für viele Einsatzorte nutzbar.
Das Besondere an der begrünten Fassade: Sie ist nicht nur mit lokalen Zierpflanzen bestückt – hier wachsen auch Gemüse, Obst und einheimische Kräuter heran. Durch den Einsatz von biodynamischen Anbaumethoden wird eine jährliche Ernte von 1,1 Tonnen erzielt.
Angenehmes Mikroklima – 190% Grün
Die Grünfassade schafft ein angenehmes Mikroklima im gesamten Gebäude. In Kombination mit dem Dachgarten und den Außenflächen sorgt das System für einen Grünanteil von bis zu 190% der Grundstücksfläche. Die Vegetation wirkt als schützender Filter für das einfallende Sonnenlicht und reinigt gleichzeitig die Luft. Die Verdunstung des Wassers trägt zur Luftkühlung bei.
Den Einsatz von Klimaanlagen reduzieren
Die Nordwand wurde relativ massiv gestaltet, um zukünftige Erweiterungen zu ermöglichen. Durch gezielt gesetzte kleine Öffnungen wird eine Querlüftung ermöglicht. All diese Maßnahmen dienen dazu, den Einsatz von Klimaanlagen zu reduzieren und dabei ein kühles und angenehmes Raumklima zu gewährleisten.
Die VTN-Architekten nutzen das Gebäude als Hauptgeschäftsstelle für ihr Architekturbüro. Im Kellergeschoss sind Tiefgarage, Technikräume und Regenwasser-Klärbehälter untergebracht. Das Erdgeschoss beherbergt Arbeitsräume, Küche und WC.
Begegnung in grüner Vegetation
Das erste Obergeschoss bietet einen großzügigen Versammlungsraum samt Toiletten und Waschraum. Im zweiten und dritten Obergeschoss stehen Gruppen- und Einzelschreibtische entlang der Außenwand zur Verfügung. Die Flächen im vierten und fünften Obergeschoss sind vielfältig nutzbar, und das Flachdach bietet Raum für Begegnungen und Besprechungen zwischen grüner Vegetation.
Klösterliche Atmosphäre
Im Kontrast zur üppig begrünten Fassade herrscht im Inneren des Gebäudes eine fast klösterliche Atmosphäre. Das dichte Blattwerk vor der raumhohen Verglasung dämpft Lichteinfall und Geräusche. Die massive Betonkonstruktion wurde sichtbar gelassen und erinnert an brutalistische Architektur der Nachkriegsmoderne. Kaum Verzierungen, Ornamente, Texturvariationen oder Farbakzente durchbrechen die strenge geometrische Formensprache. Auch die Holzmöbel und Schreibtische sind schlicht und minimalistisch gestaltet.
Das gesamte Gebäudeinnere wirkt wie ein einziges großes Atrium – mit Zwischengeschossen und Terrassen entlang seiner Peripherie. An einigen Stellen sind die Deckenplatten großflächig ausgespart, sodass der Blick von den unteren Geschossen in den fast wandlosen, von Stützen getragenen Raum möglich ist. Großzügige Oberlichter sorgen zudem für ausreichend natürliches Licht im Gebäudeinneren.
Weiterführende Links
Weitere Info und Bilder zum Projekt auf
bba-online.de
Wir danken bba-online (bau beratung architektur) und Konradin Medien für die Überlassung der Fotos und textlichen Inhalte.
Alle Fotos: Hiroyuki Oki