Außerordentliche Kulturerfolge in Namibia wecken weltweites Interesse

AvaGro: Hydroponik lässt
die Wüste erblühen

03.06.2023 – Lüdinghausen/Swakopmund. (G-gg) Du fährst und fährst. Kilometer um Kilometer, von Windhoek bis zu Afrikas Südwestküste. Grauer, trockener Busch weicht schier endlosem Sand. Namibias unversöhnliche Wüste setzt den Augen zu und der Stimmung erst recht. Kälte, Nässe und Nebel beugen sich staubigen, heißen Ostwinden, die das Quecksilber auf fast 50 Grad Celsius steigen lassen. Eine Welt der Extreme. Eine Welt, in der Leonie Hartmann aus Lüdinghausen und ihr Team eine blühende Hydroponik-Farm erschaffen haben.

In der ältesten Wüste der Welt bringt ihre Farm AvaGro 60 Tonnen Gemüse hervor, und das jeden Monat. Von den 16 Hektar Land, die zu AvaGro gehören, werden fünf bereits bewirtschaftet, davon zwei Hektar offenes Feld und drei Hektar mit Schattennetzen und Gewächshäusern, die unseren Folientunneln gleichen, aber viel stabiler sind. Hier, an einem der unwirtlichsten Orte des Planeten, gedeihen Tomaten, Paprika und Gurken in Hydrokultur, dazu Chili, Spargel, Rote Bete, Spinat sowie eine Fülle an Blumen und Kräutern – Basilikum, Koriander, Petersilie, Thymian, Rosmarin. Auch die Olivenbäume, die vor dem Start von AvaGro hier wuchsen, werden weiter kultiviert.

Am Ende der Straße durch die älteste Wüste der Welt, einen der unwirtlichsten Orte des Planeten … (Foto: Anita via Pixaby)

… liegt ein Paradies: In Hydroponik wachsen Berge von Gemüse – Nahrung für das Land und Knowhow für die Zukunft. (Foto: AvaGro)

Mitten in der Ödnis: Produktivität und Ernährungssicherheit

AvaGro ist ein wegweisendes Unternehmen mit einer Mission: Die Herausforderungen der Landwirtschaft in Namibia und Afrika zu meistern und Ernährungssicherheit zu schaffen. 2014 als Olivenhain in der Namib-Wüste übernommen, hat die Farm mit dem erdelosen Anbau Pionierarbeit geleistet. „Wir haben mit typischen Gewächshauskulturen begonnen und konnten uns dann spezialisiertere Kulturen, sogar Blumen und Kräuter, zutrauen“, sagt Geschäftsführerin Leonie Hartmann.

Fünf der 16 Hektar Land von AvaGro werden bereits kultiviert, davon zwei Hektar offenes Feld und drei Hektar mit Schattennetzen und Gewächshäusern. Foto: AvaGro.

„Nach der schier endlosen Wüste bieten die ersten grünen Baumwipfel der Olivenhaine sofortige Linderung für wunde Augen. Aber das ist nichts im Vergleich zu dem Erstaunen, in einem gut belüfteten Tunnel zu stehen und in die lächelnden Gesichter hunderter bunter Gerbera zu sehen oder die zarten Blütenblätter einer leuchtend gelben Rose zu berühren, um sich zu vergewissern, dass sie echt ist.“

Annemarie Bremner in INNOVATIONNAMIBIA: „Waterwise farming: Flowers can bloom in the desert“

Hydroponik (vom englischen hydroponic) ist international der Überbegriff für erdelose Kulturverfahren. In Swakopmund werden die Stecklinge als reine Hydrokultur gezogen, also in Wasser bzw. Nährlösung, und bilden Wasserwurzeln aus. Die Weiterkultur erfolgt dann in Kokosfasern, die geeignete Luftdurchlässigkeit und Wasserleitekraft mitbringen. 

In Deutschland, so auch bei der DGHK, hat sich der Begriff Hydrokultur als Kultursystem von Pflanzen, vor allem Zierpflanzen für die Raumbegrünung, im mineralischen Substrat Blähton durchgesetzt. Das erlaubt beim Pflanzenfreund auf der Fensterbank ebenso wie in großen Pflanzanlagen das Anzeigen des Wasserstands im Wurzelbereich.

Leonie Hartmann, 1990 in Westfalen geboren, ist seit 2019 Geschäftsführerin und Mitgründerin von AvaGro. Als Master of Science mit gartenbaulicher Zusatzausbildung legt sie den Fokus stets auf den Bereich Nachhaltigkeit, und das unter ökonomischen, wissenschaftlichen, sozialen und technischen Aspekten. Mit der Hydroponik-Farm geht sie Ernährungspolitik „von der Wurzel“ an und erntet weltweit Interesse. Foto: AvaGro.

„Was wir hier können, können wir überall“

2019 war AvaGro so weit, die Erkenntnisse aus den härtesten klimatischen Bedingungen Namibias in andere Länder und Regionen zu tragen. „Was wir hier können, können wir überall“, ist man überzeugt, denn hier ist Landwirtschaft in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung:

Es regnet kaum, die Böden sind staubig und salzig, das Grundwasser – wo vorhanden – zu brackig für die Landwirtschaft. Namibia hat maximal 30 Prozent kultivierbares Land. Die meisten Böden sind für den Anbau von Freilandkulturen völlig ungeeignet, unfruchtbar, weil ihnen die organische Substanz fehlt. Ihre Oberfläche besteht aus sandigen Texturen oder kalkhaltigem Fels, kaum porös und kaum in der Lage, Feuchtigkeit zu speichern.

Blumen machen derzeit 10% der AvaGro-Produktion aus. Es sollen noch deutlich mehr werden, damit es auch in Namibia künftig Sträuße an der Supermarktkasse geben kann. Foto: AvaGro.

Brackiges Wasser und unfruchtbare Böden

Grundwasser ist im Land zwar vorhanden und durch Bohrungen zugänglich, für den Pflanzenanbau ist jedoch nur ein Drittel des Wassers des Landes geeignet. Es gibt Bereiche, in denen Salzwasser mit hohem pH- und EC-Wert (in Swakopmund 15 mS/cm) und nicht nützlichen Mineralien wie Blei, Chlor und Natrium gefunden wird. In manchen Regionen findet sich immerhin ein Wasserpotenzial für den Freilandanbau in der Nähe von Grundwasserleitern.

Auf der AvaGro-Farm ist die Wasserqualität, nicht die -verfügbarkeit das Problem. Man hat Zugang zu rund 100.000 Litern Wasser pro Tag, doch es ist zu brackig, um Gemüse anzubauen. Eine Umkehrosmose-Anlage, die enorme Wassermengen bewältigen kann, erwies sich als die wichtigste Investition, um die Wüstenfarm in eine Oase zu verwandeln.

Der EC-Wert (electric conductivity) stellt die elektrische Leitfähigkeit des Wassers dar, also die Konzentration
der Salze (Ionen) in der Nährlösung. Maßeinheit ist Siemens bzw. Millisiemens pro Zentimeter (mS/cm). Je mehr Salze im Wasser, desto leitfähiger ist es. Destilliert hat es z.B. nur ca. 0,00005 mS/cm, Leitungswasser ca. 0,5 mS, Meerwasser aber 50 mS. Ein EC-Wert von 0,2-0,5 mS gilt als guter Ausgangswert für die Gestaltung von Nährlösungen zur Pflanzenernährung.

Im „Greenhouse“ wachsen die Jungpflanzen unter Tröpfchenbewässerung in Coco Peat Slabs – langen, schmalen Planken aus Kokosfasern.

Die Pflanze braucht vom Setzling bis zur Frucht nur zwei bis drei Monate. Foto: AvaGro.

Gewächshäuser schützen vor den Elementen

Die Gewächshäuser – in Europa meist zuständig für das Schaffen tropischer Temperaturen – dienen hier zum Schutz vor den Elementen und sind vor allem robust. AvaGro bietet solche zusammen mit weiteren Produkten und Dienstleistungen den heimischen Landwirten an und gibt Orientierungshilfen zu maßgeschneiderten Pflanzen-Inputs und effizienten Wassernutzungssystemen, zu Verbesserungen der Lieferkette, Qualifizierung sowie der Erschließung von Finanzen und Märkten für Kleinbauern.

Hinzu kommen Landgutachten, Wasserprobenanalysen, Bodenproben- und Wetterdatenanalysen. Ziel ist es, die Anbaumethoden und Gemüseproduktion vor Ort so weit auszubauen, dass die Landwirte gemeinsam eine wirtschaftliche Größenordnung erreichen, die Märkte der Region beliefern und größere Erntemengen auch exportieren können.

AvaGro hilft mit gesunden Pflanzen und neuestem Knowhow

„Wir treiben beständig Infrastruktur und Technologie sowie kontinuierliche Forschung voran“, sagt Farm-Manager Ruben Shikulo. Er kam nach Abschluss der 10. Schulkasse nach Swakopmund, als hier noch eine Olivenfarm stand. „Ich war Farmarbeiter ohne jede Kenntnis hydroponischer Kultur“, sagt er. „Heute bin ich im Rahmen des Farm-Managements zuständig für den Spargelanbau und die Oliven-Plantage samt Produktion unseres Olivenöls extra virgin.“

Dank harter Arbeit und neu erworbenem Wissen war Shikulo bereit für die Transformation der Farm Shalom, als die Besitzer das Land 2014 an den Arzt Dr. Vikram Naik verkauften, der gesunde Lebensmittel in der Wüste produzieren wollte. Mit AvaGro, seit 2017 unter der Leitung von Leonie Hartmann, hat sich die Farm Shalom zum herausragenden Hydroponikbetrieb und international gefragten Vorzeigeprojekt entwickelt.

AvaGro ist Global Gap-zertifiziert, vollzieht so das weltweit angewendete Qualitätssicherungssystem für die Landwirtschaft und ist damit bereit für den Export seiner Produkte. Foto: AvaGro.

50 bestens ausgebildete einheimische Fachkräfte

Im Team der Farm sieht Shikulo „einen unserer größten Erfolge: Namibier, die keine Erfahrung hatten, arbeiten jetzt an einem Projekt, das die Küste und Windhoek als Landeshauptstadt und Verteilzentrum bereits mit Nahrungsmitteln versorgt und plant, weiter zu expandieren“. Heute sind es 50 festangestellte Fachkräfte, hinzu kommen Studierende von Universitäten im Praktikum sowie Saisonkräfte – wobei es eine Saison im europäischen Sinn nicht gibt. „Wir produzieren Winters wie Sommers, es gibt keine down-time“, erklärt CEO Leonie Hartmann. „Zu Jahresanfang pflanzen wir für unsere Wintersaison April-Oktober, ab August für die Sommersaison von Oktober bis April.“

Kultiviert wird in Kokosfasern (Coco Peat & Coco Coir). Aus den Schalen der Kokosnuss, früher ein Abfallprodukt, gewinnt man ein Substrat, das Luftdurchlässigkeit und Kapillarität mitbringt. AvaGro produziert die Stecklinge direkt in Hydrokultur, setzt sie in der „Nursery“ in Kokosblöcke mit Bewässerung durch Hochdruck-Nebelanlagen; später im „Greenhouse“ wachsen die Jungpflanzen bei Tropfbewässerung in Coco Peat Slabs – langen, schmalen Planken. Die Pflanze braucht vom Setzling bis zur Frucht nur zwei bis drei Monate. Man setzt Bienen ein für die Bestäubung, Nützlinge für den Pflanzenschutz.

Entwicklung und Kontrolle der Betriebsabläufe geschieht zunehmend unter Einsatz geeigneter Technologie. Foto: AvaGro.

In der Produktion: Lehre und Forschung in der Praxis

Die Erfahrungen teilt AvaGro im Rahmen von Partnerschaften mit der „University of Namibia“ und der „Namibia University of Science and Technology“, die es Studierenden ermöglichen, auf der Farm zu trainieren, ihr Wissen in die Praxis umzusetzen oder Forschungsprojekte voranzutreiben.

Wo die Forschung neue Details zum Zusammenspiel von Umwelt und Pflanzenwachstum aufzeigt, passt AvaGro seine Betriebsabläufe an und entwickelt sie weiter, zunehmend unter Einsatz geeigneter Technologie. Neben der Entsalzungsanlage betreibt man ein automatisiertes Bewässerungssystem, das die präzise Wasser- und Nährstoffapplikation ermöglicht.

Das aufwändig aufbereitete Wasser wird künftig in einem Kreislaufsystem aufgefangen und wiederverwertet. Ein neues, Klima-kontrolliertes Jungpflanzenhaus soll eine noch genauere Fürsorge und bessere Ergebnisse bringen, für die Ernte ebenso wie für die Erforschung der Pflanzenentwicklung in der Wüste.

Der Arzt Dr. Vikram Naik (l.) setzt sich ein für gesunde Ernährung und bezahlbare Gesundheitsfürsorge; Leonie Hartmann geht es um „mehr als die Tomate, um nachhaltige und soziale Aspekte“. 2017 stieg sie ein als Farm-Manager, seit 2019 firmieren sie als AvaGro. Foto: AvaGro.

Internationale Zusammenarbeit mit Universitäten und Forschungszentren

In einem Gewebekultur-Labor (In Vitro) schützt AvaGro gefährdete Pflanzenarten wie Bananen, Datteln, Vanille. „Hier können wir sie im sterilen Umfeld vermehren“, erklärt Leonie Hartmann. „Die gesunden Pflanzen teilen wir mit den hiesigen Kleinbauern und helfen ihnen, die Produkte zu vermarkten.“

Das gewonnene Wissen und die Erfahrungen teilt Leonie Hartmann längst länderübergreifend. 2019 folgte sie einer Einladung nach Dubai und sprach dort auf der „Meet the farmers“-Conference. 2020 war Namibia Teil der Welt-Expo in Dubai und sie eine gefragte Rednerin. An einer der weltweit wichtigsten Agrar-Universitäten, im niederländischen Wageningen, bildet sie sich fort in „Greenhouse Horticulture“ – wochenweise vor Ort oder von Afrika aus im Online-Kurs.

In Saudi-Arabien betreibt die „Wageningen Universiteit“ ein Forschungszentrum zum Vergleich von High-tec- und Low-tec-Gewächshäusern für die Eignung in der Wüste. Auch dort in Riad war sie im Rahmen der Fortbildung aktiv. Aus Dubai wiederum rief ein Scheich zu einem Hydroponik-Projekt, das nicht vorankommen wollte… Bei Pflanzenwachstum im extremen Klima ist das spezielle Wissen extrem gefragt.

Wissen teilen, damit die Wüste erblüht

AvaGro kooperiert zudem in Namibia mit anderen landwirtschaftlichen Projekten. Sie alle teilen die Vision, Namibia zu einem unabhängigen Produzenten von Frischprodukten zu machen. Leonie Hartmann: „Wir tragen unseren Teil dazu bei, dass unsere Wüste erblüht“.

“If you want to walk fast, walk alone; if you want to walk far, walk together.” 
Willst Du schnell sein, gehe allein; willst Du weit kommen, gehe gemeinsam.
Afrikanisches Sprichwort

Frieda ist „Tissue Culture Lab Suvervisor“, die Chefin im In-Vitro-Labor, wo gefährdete Pflanzenarten geschützt vermehrt werden. Fotos (3): AvaGro.

Ausbildung wird bei AvaGro groß geschrieben, und im Rahmen wissenschaftlicher Partnerschaften können Studierende hier praktizieren und Forschung betreiben.

Heute beliefert AvaGro bereits weit mehr als die Küste.  Die Produkte gehen nach Windhoek und verteilen sich von dort aus über ganz Namibia.

Weiterführende Links

Schmackhaftes, gesundes Gemüse in der Wüste zu ziehen, ist eine Leistung. Dabei auch noch wirtschaftlich zu sein, für AvaGro eine Notwendigkeit.

„Unsere Produkte gehen heute bereits an die Küste, nach Windhoek, von dort aus über ganz Namibia – und bald nach Südafrika“, so das Ziel. SADC, die Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika, arbeitet an einem Freihandelsabkommen mit offenen Grenzen wie in der EU.

AvaGro ist Global Gap zertifiziert – von 234 Qualitätskriterien gelten allein 117 der Lebensmittelsicherheit, 50 der Umwelt. „Damit können wir exportieren. Derzeit bestimmen riesige Farmen (open-land-grow), die bis zu 40 Hektar pro Woche umschlagen, die Preise.

In Europa fusionieren die Retailer, Händler werden immer größer. Das zwingt auch die Anbauer zu wachsen, um wettbewerbsfähig zu sein. Wer Tonnen in Johannisburg abliefert, diktiert den Preis, an dem wir uns orientieren müssen.

Es geht um Quantität – wir aber wollen unsere Qualität behalten! Mit Verdoppelung der Fläche werden wir rentabel. Denn beim Hydroponik-Anbau sind die Ernteverluste (max. 3%) extrem niedrig, die Erträge aber ungleich höher, bei allerbester Qualität.
Leonie Hartmann CEO, AvaGro

Leonie Hartmann

CEO, AvaGro

Ich war ein junges Mädchen, als mein Vater Günter Gregg Zierpflanzen in Hydrokultur mit der Entscheidung für Blähton als Substrat marktfähig machte. Seine Visionen gingen aber noch weit darüber hinaus: Abwärmenutzung für Gewächshäuser an Industrie-Standorten, blühende Landschaften, wo eigentlich nichts wachsen konnte. „Mit Hydrokultur können wir die Wüste zum Blühen bringen“, sagte er. Dass heute eine junge Frau aus dem Nachbarort genau das tut, das ist großartig.
Marlis Gregg

Journalistin, Vizepräsidentin DGHK, Deutsche Gesellschaft für Hydrokultur

AvaGro ist ein hochinteressantes Projekt. Wenn die Farm weiter wachsen will, muss sie vor allem die Qualität des Substrats im Auge behalten. Je nachdem, wo die Kokosblöcke zum Beispiel gelagert werden – ob sie Regen oder Brackwasser ausgesetzt sind –, wirkt sich das entscheidend u.a. auf den Anteil an Natriumchlorid aus. In Deutschland regelt die Gütegemeinschaft Substrate die Qualitätsüberwachung, an deren Richtwerten und Kriterien man sich orientieren kann.

Dr. Heinz-Dieter Molitor

Gartenbauwissenschaftler, Vizepräsident DGHK, Deutsche Gesellschaft für Hydrokultur

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