Digitale Welten zwischen tropisch grünen Wänden
Raumbegrünung und Technologie: In Hamburgs
Speicherstadt zieht ein neues Zeitalter ein
30.03.22 – Hamburg. (G-gg) Die Raumbegrünung erlebt einen Hype wie nie zuvor. Jahrelang hat die Branche unermüdlich erklärt, wie schön und gesund es ist, mit Pflanzen zu leben. Hat Architekten durchlebt, die unser Dasein in grauen, leblosen Stein verbannen wollten. Die in riesige, lichtdurchflutete Hallen nur nüchterne Bank- und Kassenschalter stellten, jedoch bloß keine Pflanzen. Plötzlich aber weiß es jeder: Ohne Pflanzen geht es nicht. Wir brauchen das organische Wachstum, das natürliche Miteinander. Wir wollen es. Und können es so gut wie nie zuvor.
Das zeigen die neuen Pflanzenwände der Hydro Böttle GmbH, Schenefeld, unter Denkmalschutz-Bedingungen konzipiert und realisiert in Hamburgs einzigartiger Speicherstadt. Hier, mitten im UNESCO-Welterbe, schlug früher der Puls des Hamburger Hafens; Waren aus aller Welt wurden aus Kähnen in die Luken des damals weltgrößten Lagerhauskomplexes gehievt. Seit das Gebiet aus dem Freihafen herausgelöst ist, entwickelt es sich zum vielseitigen innerstädtischen Quartier.
In diesem Büro von HHLA Next gibt es keine typische „living area“, denn dank der Pflanzen lebt die gesamte Fläche. Der Raumteiler zur Linken bildet eine „grüne Hecke“, geradeaus fällt der Blick auf die Wand aus tropischen Pflanzen.
Alle Pflanzgefäße sind ebenso wie das Trägermaterial der Pflanzenwände aus Recycling-Material. Innerhalb der Pflanzenpflege arbeitet Hydro Böttle mit dem Einsatz von Nützlingen.
Zwischen traditioneller Bewahrung und vitaler Neuausrichtung
Mit digitaler Technologie zieht ein neues Zeitalter ein. Denkmalschutz, technischer Fortschritt und lebenswerte grüne Räume schließen sich dabei nicht aus. Der Spagat zwischen der Bewahrung traditionellen Bestandes und einer vitalen Neuausrichtung liegt in Verantwortung der Hamburger Hafen und Logistik Aktiengesellschaft, kurz HHLA, die mit ihrem Segment ‚Immobilien‘ als Eigentümerin langjährige Erfahrung mit den Speicherbauten aus 1885 mitbringt.
Vor den Menschen halten die Pflanzen Einzug
In die erste Etage eines solch historischen Gebäudes zog die HHLA Next, das Innovation Hub der HHLA, ein. Doch vor den Mitarbeiter*innen kamen die Pflanzen: Jede Menge Epipremnum aureum [Goldene Efeutute] mit ihren hell geklecksten, herzförmigen apfelgrünen Blättern, die so großzügig ranken.
Dazu Philodendron scandens, eine weitere Kletterpflanze, die ihren deutschen Namen „Baumfreund“ der Eigenschaft verdankt, daheim im tropischen Dschungel solange über den Boden zu wachsen, bis sie auf einen Baum trifft, an dem sie emporklimmen kann. Außerdem Monstera [Fensterblatt], derzeit wohl eine der beliebtesten Zimmerpflanzen, deren unverwechselbare Blattform man sogar grafisch auf zahlreichen Tapeten und Textilien wiederfindet.
Transparenz, Leichtigkeit und organisches Wachstum unter historischem Gebälk.
Drei monumentale Pflanzenwände
Zusammen mit Scindapsis pictus, Maranta leuconeura, Epipremnum ‚Marble Queen‘, Dracaena-Köpfen und Fittonien, auch Silbernetzblätter genannt, bevölkern sie eine ganze Wandflucht des Büros. Die Raumbegrüner von Hydro Böttle haben daraus drei imposante Pflanzenwände gestaltet, eine von 6,23 Meter Länge, die nächste ist 4,08 m und die dritte 4,82 m lang bei 2,29 bis 2,37 m Höhe.
Sie verwenden dazu das GSky Plant System: Es besteht aus recyceltem Kunststoff und ist ein Rinnensystem. Die „Trays“ werden aneinander geschraubt, dann werden darin die Pflanztöpfe arrangiert. „Jede Pflanze hat so in ihrem Tray ein eigenes Wasserresevoir, wodurch keine Wasserkonkurrenz entsteht“, erklärt Finn Böttle, Geschäftsführer der Hydro Böttle GmbH. „Das System ist patentiert und kommt aus den USA, wir haben den Europavertrieb hierfür.“
Die Module des Systems können individuell in jedes Format und in der Größe bis nahezu unendlich gebaut werden, erklärt Finn Böttle weiter. Die Pflanzen werden in ihren Kulturtöpfen eingesetzt – 12 cm Erdtöpfe oder 13/12er Hydrokulturen –, was die Wand bedienerfreundlich macht und langfristig die Kosten im Bereich der Pflege reduziert. Da jede Pflanze in ihrem eigenen Tray sitzt, kann sie wachsen, jedoch nicht zu stark; so bleibt das angestrebte Bild der Pflanzenwand lange erhalten.
WLAN-gesteuerte Versorgung mit Wasser und Nährlösung
Die Versorgung der Pflanzen mit Wasser und Nährlösung ist automatisch geregelt. Das Wasser wird durch eine Pumpe nach oben gefördert und läuft per Schwerkraft durch das Kaskadensystem. Das Intervall der Bewässerung beträgt 14 Tage, die Dauer pro Bewässerungsdurchgang beträgt ca. 60 Minuten. Das Ganze wird über eine Steuereinheit geregelt, auf die man per WLAN Zugriff hat und so kontrollieren und steuern kann.
Wie in der Natur gibt es auch hier eine Art Ufer- oder Randbegrünung, welche die Arbeitsplätze umgibt. Da sind drei Raumteiler von zwei Meter Länge, zwei weitere, die sich mit 1,2 m Länge einfügen, sowie 18 Bodengefäße – auch diese sämtlich aus recyceltem Kunststoff und ausschließlich in pflegeleichter Hydrokultur.
Raumteiler und Bodengefäße in Hydrokultur
Hier dominieren Palmen wie Rhapis und Kentia [Howea Forsteriana] zusammen mit Ficus lyrata [Geigenfeige] die mittleren Wuchshöhen aus Monstera deliciosa und Sansevieria zeylanica, dem Ceylon-Bogenhanf. Dracaena ‚Lemon Lime‘ streut mit ihren glänzend gelbgrünen Blättern frische Flecken ins Grün. Aspidistra elatior und die bewährte Aglaonema [Kolbenfaden] bilden eine dichte Unterbepflanzung und runden das Bild ab.
Die meisten dieser Arten sind eher bescheiden in ihren Ansprüchen an den Standort, aber sie brauchen – ebenso wie der Mensch – Tageslicht für ein gesundes Leben. Das Licht kristallisierte sich in dem Denkmalgebäude als Problem heraus; das Team von Susanne Tewes-Rakowski, Geschäftsführerin der lightemotion KG in Fürth, fand schließlich die Lösung.
„Wir brauchen Licht!“
„Die Schwierigkeit in diesem Projekt waren die historischen Holzbalken. Wir brauchten Licht – hier im Besonderen Pflanzenleuchten auf LED-Basis. Auf dem Speicherboden jedoch darf Licht nur an den zusätzlichen Metallschienen installiert werden, was uns eigentlich zu nah an die Wand und damit an die Pflanzen brachte. Dank des Lichtkonzepts, das eigens für die Pflanzen entwickelt wurde, konnten wir dieses Problem schließlich mit breiten Abstrahlwinkeln der einzelnen Leuchten sowie einer sehr schrägen Ausrichtung auf die Wand lösen“, beschreibt Finn Böttle. „So können wir das Licht großzügig einsetzen und die Pflanzenauswahl eher auf die Optik als auf den Standort ausrichten. Eine starke Wirkung!“
BAUTAFEL
Ausführung: Januar 2020
Bauherr: HHLA Next GmbH, Hamburg
https://hhla.de/unternehmen/tochterunternehmen/hhla-next
Raumplanung: The Greyhounds GmbH & Co KG, Architectural Designer, Hamburg
https://thegreyhounds.hamburg
Florales Lichtkonzept: lightemotion KG, Fürth, unter der Leitung von Architektin und Innenarchitektin Susanne Tewes-Rakowski (Geschäftsführung)
https://light-emotion.jimdo.com
Raumbegrünung: Hydro Böttle GmbH, Schenefeld, unter der Leitung von Caroline und Finn Böttle (Geschäftsführung)
https://www.hydroboettle.de
Das Unternehmen Hydro Böttle wurde 1971 gegründet und ist seit über 50 Jahren erfolgreich am Markt, davon mehr als 35 Jahre spezialisiert auf Raumbegrünung und Hydrokultur. In den Regionen Norddeutschlands konzipiert und realisiert es mit rund 20 Mitarbeiter*innen anspruchsvolle Grünprojekte im Innenraum.
Gut ist …
… wenn Raumplaner grün denken. Direkt auf ihrer Startseite im Web schreiben die Greyhounds:
Die Farbe Grün.
Eine durchdachte Begrünung Ihrer Räume hat klare Vorteile: Pflanzen produzieren Sauerstoff, verbessern die Luftqualität, das Raumklima und die Raumakustik. Sie sind ein starkes Design-Element und unterstützen die Verbindung Ihres Unternehmens zu Natur und Nachhaltigkeit. Studien haben nachgewiesen, dass eine intensive Begrünung die Produktivität enorm steigert: Während die Konzentrationsfähigkeit zunimmt, verringern sich Fehlerhäufigkeit und Krankheitstage.
Ob kleine Kübel, ganze Bäume, Pflanzgefäße als Raumteiler oder eine vertikale Wandbegrünung mit mehreren hundert Pflanzen und eigenem Bewässerungssystem …
Profis kommen alle drei Wochen zur Pflanzenpflege
Damit diese dauerhaft erhalten bleibt, kümmert sich das Böttle-Team auch weiterhin um das lebende Grün, und zwar als Dienstleister in der Pflanzenpflege. Zu dem dreiwöchigen Pflege-Turnus gehören Maßnahmen des Pflanzenschutzes, für den Nützlinge eingesetzt werden, und das Auffüllen der Tanks für Wasser bzw. Nährlösung unterhalb der Pflanzenwände. Die Tanks haben jeweils einen Vorrat für vier Wochen, die Bodengefäße und Raumteiler werden händisch kontrolliert und gegossen.
Erfahrungsgemäß sind auch die Menschen, die die begrünten Räume nutzen, ihren grünen Zimmergenossen sehr zugewandt. Zahlreiche Studien belegen die Steigerung von Motivation, Konzentration und Produktivität durch das Leben mit Pflanzen im Büro. Damit diese uns gesund und langlebig begleiten, zähmt die Raumbegrünung den Dschungel, kennt die Arten und Sorten, die sich in unseren Räumen wohl fühlen, und weiß, wie sie gedeihen können.
Bioaktive Natur in funktionalen Welten
In Hamburg war es den Entscheidern wichtig, eine positive Arbeitsathmosphäre zu schaffen. Der alte Speicherboden als Arbeitsplatz mit Geschichte und Charakter wurde zum Großraumbüro entwickelt – alles offen, open space, mit viel lebendem Grün und viel Knowhow gestaltet. Mittendrin findet das Team seine Arbeitsplätze, es gibt keine typische ‚living area‘, denn dank der Pflanzen lebt die gesamte Fläche.
Raumbegrünung integriert die atmende, bioaktive Natur in unsere funktionalen Welten. Je virtueller der Job und der Alltag, desto größer wird der Wunsch nach Bodenständigkeit und Naturkontakt, so lautet eine These. Innovation Hub und tropische Pflanzen, so ist also anzunehmen, das dürfte eine langfristig glückliche Konstellation werden. Marlis Gregg
Vorher: Das Rendering, großes Finale der Planung, visualisiert die Vorstellungen der Raumplaner und Auftraggeber. Quelle: thegreyhounds
Nachher: Das echte Leben im historischen Gebäude der Hamburger Speicherstadt – mitten im UNESCO Weltkulturerbe. Foto: Knockedesign.